Der Hund bekommt einen Namen
Wirklich, der Hund ist nicht unser. Wir haben ihn nicht gekauft, nicht eingeladen, nicht einmal tief in unserem Herzen gewollt. Nein, nein, nein, wir sind keine dog people. Wir wollen ein Leben frei von Verpflichtungen führen, wie sie der Hundebesitz mit sich bringt.
In Bulgarien kommt allerdings niemand am Hund vorbei. Sie sind einfach überall, besonders in Dörfern. Dort ist es selbstverständlich, Haus und Hof zu haben mit einem Garten — und auch einen Hofhund.
Als wir unser Haus gekauft hatten, haben uns auch Bekannte gefragt, ob wir uns denn jetzt dazu einen Hund anschaffen würden. Die haben wir mit großen Augen angesehen: “Natürlich nicht! Was sollen wir mit einem Hund?” Das hat man akzeptiert, weil wir bis dato nicht durch Hundesehnsucht aufgefallen waren.
Aber, wie gesagt, am Hund kommt niemand in Bulgarien vorbei: die Einheimischen auf dem Dorfe haben einen. Alle anderen begegnen ihnen auf der Straße in Form von Streunern. So ist das einfach. Es gibt viele Straßenhunde. Die leben wie Obdachlose nur für sich. Wie sie überleben, ist uns manchmal ein Rätsel. Irgendwer muss ihnen genügend Futter geben, dass sie sogar im Winter über die Runden kommen. Unterschlupf finden sie in verlassenen Häusern.
An diese Streuner haben wir uns gewöhnt. Wenn mal einer in unsere Nähe kam, haben wir ihn gestreichelt oder auch mitlaufen lassen. Einmal waren wir auch geneigt, ihm etwas im Laden zum Fressen zu kaufen. Doch kurz vorher hat er einen anderen Hund getroffen und ist mit dem weitergezogen.
Auch an unserem Grundstück liefen immer wieder mal Hunde vorbei. Die meisten haben kein Halsband, manche jedoch scheinen noch einen Besitzer zu haben. Es gab sogar einen Hund, den der Nachbar ins Herz geschlossen zu haben schien; ein brauner “größerer Beagle” oder so. Den haben wir auch auf unserem Grundstück geduldet, wenn er mal drüber lief. Der Zaun ist lückenhaft und konnte Hunde wie Katzen nicht aufhalten. Also sei es drum… Solange der Hund sein Geschäft nicht bei uns macht, ist es ok.
Kennzeichen eigentlich aller Streuner, denen wir begegnet sind in 3+ Jahren in Bulgarien, ist ihre Ruhe. Sie bellen nicht, sie springen nicht an. Sie sind “bescheiden”, still oder gar unterwürfig/angsterfüllt. Das mag schlechten Erfahrungen geschuldet sein, die vor oder während ihres Straßenlebens gemacht haben. Noch mehr glaube ich jedoch, dass das einfach eine praktische Lehre des Streunens ist: Nur wer friedlich ist, kann darauf hoffen, etwas zu fressen von Menschen zu erhaschen. Anders als die streunenden Katzen, die dumpster diving betreiben, bescheiden sich die Hunde mit dem, was auf/an der Straße liegt. (Ob sie darüber hinaus Ratten oder anderes Getier erfolgreich jagen, wissen wir nicht. Gesehen haben wir davon noch nichts.)
Mit bulgarischen Hunden waren wir also vertraut. Kein Problem, wenn die vor unserem Grundstück oder auch mal auf unserem Grundstück herumstreichen. Damit mussten wir auch rechnen, als wir aus unserem Apartment ins Haus gezogen sind. Vielleicht haben wir darüber nicht explizit nachgedacht, aber es lag auf der Hand. Hunde gehören hier einfach zum Dorfleben, so wie Hühner, Katzen oder auch Schafe, die — wenn wir nicht aufpassen mit dem Grundstückstor — morgens mal auf dem Rasen stehen können.
Dass wir nun aber einen Haus- und Hofhund haben würden… das war gar nicht auf unserem Zettel. Wir haben es auch erst bemerkt, als der nächtliche “Wolf” sich tagsüber mal zeigte. Von der ersten Sichtung bis dahin dauerte es etwas, doch irgendwann war selbst uns das Muster klar: Ein Hund hatte es sich auf unserem Grundstück gemütlich gemacht. So sahen wir ihn denn morgens ab und an vom Balkon im Garten sitzen:
Anfangs hielt er sich nahe des Zauns zum Nachbarn auf. Er schien mehr dem Nachbarn anzuhängen an uns. Der hatte nur seine Grundstückstür geschlossen, so dass der Hund nicht zu ihm konnte, wann er wollte.
Es gab allerdings auch ein Loch im Zaun. Nur konnte der Hund durch das lediglich von dort zu uns schlüpfen, nicht umgekehrt.
Nachbar Iwan bestritt, dass der Hund ihm gehöre. Ja, ab und an würde er ihn füttern. Und der Hund sei nett.
Wir waren sehr unentschlossen, was damit anfangen. Sollten wir dem Hund seinen Schlafplatz bei uns lassen? Er hat nicht wirklich gestört. Doch der Gedanke, einen permanenten Mitbewohner zu haben, war irgendwie merkwürdig. Würde uns der nicht im Garten stören oder Besucher belästigen?
Zu dem Zeitpunkt schien der braune Hund andererseits verschwunden. (Später meinten wir, ihn bei Nachbarn angekettet gesehen zu haben.) Mit nur einem Hund in der Nähe könnten wir es vielleicht aufnehmen. Voraussetzung: Er stört uns nicht.
Iwans Hund war es nicht. Unser auch nicht. Dennoch schien Iwan ihn zu rufen. Deshalb haben wir gefragt, was der Name des Hundes sei. Keiner, sagte Iwan. Das, was wir für einen Namen gehalten hatten, war unserem Unverständnis der bulgarischen Sprache geschuldet.
Dass der Hund nicht anonym bleiben sollte, schien uns allerdings das Mindeste, wenn er schon irgendwie bei uns wohnte. Nachdem wir “Fiffi”, “Rex” und “Flocki” verworfen hatten, entschieden wir uns für Kutshe.
Für unsere deutschen Ohren war das ein Name wie jeder andere. Im Bulgarischen bedeutet es hingegen einfach “Hund” (кутче).
Warum nicht? So können wir den Hund beim Namen rufen und für bulgarische Ohren klingt es wie ein neutraler Ruf nach einem Hund. So rufen ihn auch die Bulgaren, an denen er vorbeiläuft: “Hey, Hund, komm’ mal her.”
Nicht, dass Kutshe nun aber auf komische Gedanken kommt, nur weil wir ihm einen Namen gegeben haben. Er hat seinen Platz und geht seiner Wege wie er mag. Er zieht den Platz unterm Busch zur Nächtigung vor? Be our guest.